Die Digitalisierung im Spiegel zeitgenössischer Romane (Justin, Ayman, Laura, Jolina, Lisa, Carla, Duygu, Roksana, Jeen, Mohamad)
Als Deutsch-Leistungskurs der
Fritz-Karsen-Schule beschäftigten wir uns im 1. Semester mit der deutschen
Sprache im Zeitalter der Digitalisierung und haben dabei nicht nur die Sprache
im alltäglichen Gebrauch im Kontext neuer Medien untersucht, sondern auch
geprüft, inwiefern das Zeitalter der Digitalisierung in die zeitgenössische
Literatur hineinwirkt. Dazu haben wir auf der Basis eines „Blind Dates“ jeweils
ein Buch ausgewählt, es gelesen und einander die Inhalte und unsere
Beobachtungen zur Sprache vorgestellt. Es zeigte sich, dass die
zeitgenössischen Romane sehr vielfältige die Auswirkungen der Digitalisierung
aufgreifen und hierbei inhaltlich vor allem den Risiken, die sich für das
einzelne Individuum oder ganze Gesellschaften daraus ergeben, auf den Grund
gehen. Viele Texte haben dystopischen Charakter und beschreiben eine Welt, in
der die aktuellen Tendenzen der digitalen Entwicklungen auf die Spitze
getrieben werden: Die Freiheit des Einzelnen wird schlimmstenfalls der
Herrschaft von Algorithmen und KIs untergeordnet, Figuren stellen mitunter
diese (neue?) Weltordnung in Frage, zum Beispiel in „Der Würfel“ . Manche Texte
sind eher satirisch, wie zum Beispiel „Quality Land“: Was als Zukunftsvision
erscheint ist vielleicht schon realer als uns lieb ist und wir fühlen uns
ertappt dabei, wie sehr wir uns schon bestimmten Algorithmen unterordnen und
ausliefern…
Hier ein paar Anmerkungen zu
einzelnen Romanen:
Carla und Duygu über Ruhm
(Kehlmann)
Der von Daniel Kehlmann verfasste Roman
"Ruhm" wurde im Jahre 2009 vom Rowohlt Verlag veröffentlicht. Er
besteht aus neun Kurzgeschichten, die inhaltlich keinen roten Faden aufweisen. Deswegen ist es schwer, sie kurz
zusammenzufassen. Trotzdem hängen die Figuren miteinander zusammen: der Gedanke
der Vernetzung, der den Kern unseres digitalen Zeitalters bildet, spiegelt sich
hier also in Kehlmanns Erzählstrategie wider. Die Geschichten werden meistens
aus der Sicht eines Er-/Sie-Erzählers erzählt. In einer Geschichte bleibt eine
Schriftstellerin in einem Land in Zentralasien verschollen, da ihr Handyakku
leer ist, und die Menschen dort kein Englisch können. In einer anderen Geschichte
findet sich sogar eine Geschichte eines anderen Schriftstellers, sozusagen eine
Erzählung innerhalb der Erzählung. Dort spricht der Autor mit einer seiner Figuren. Die Wahrheit, Realität und Identität werden
hierbei verzerrt, sodass es in einer anderen Geschichte zum Beispiel dazu
kommt, dass der Techniker Ebling und der berühmte Schauspieler Ralf Tanner eine
andere Identität annehmen. Die Digitalisierung in dem Roman ist nicht unbedingt weit fortgeschritten aus heutiger Sicht, bildet aber
schon einen thematischen Kern: Es geht um Kommunikationsprobleme und
Entfremdung im Kontext der Digitalisierung. Es werden direkt oder indirekt Grundphänomene
und -probleme dargestellt, die sich aus der Digitalisierung ergeben und die Figuren
reflektieren dies zum Teil.
Roksana über Die
Möglichkeit einer Insel (Houellebecq)
Der Roman "Die Möglichkeit
einer Insel", der von Michel Houellebecq verfasst wurde, ist 2005 im
Dumont Verlag veröffentlicht worden. Es handelt sich hierbei um eine Zukunftsvision,
in der die Menschheit fast ausgestorben ist und die Einzigen, die noch bei
Bewusstsein sind, sind die Neo-Menschen (geklonte Nachkommen von den Menschen aus der Gegenwart), die aber keine Gefühle empfinden
können. Die Erzählweise ist geprägt durch die zwei Zeitebenen. Die erste ist
die Gegenwart, in der der Hauptcharakter über sein Leben erzählt. Doch das Leben ist für ihn, da er ein sehr
pessimistischer Mensch ist, so schwer, dass er es beenden will. Doch bevor er
stirbt, wird er Mitglied einer Sekte und dort lässt er sich klonen. Die zweite
Zeitebene spielt in der Zukunft, ca. 2000 Jahre nach der Gegenwart. Dort geht
es um die Berichte von den geklonten Nachkommen der 24. und 25. Generation des
Hauptcharakters. Den einzigen Kontakt mit der Außenwelt haben sie durch
Computer, dort kommunizieren sie mit anderen Neo-Menschen, doch treffen können
sie sich nie. Daniel25 (Nachkomme vom Hauptcharakter der Gegenwartsebene) und
eine "Freundin" von ihm haben es satt in so einer Welt zu leben und
machen sich auf den Weg um "Die Möglichkeit einer Insel" zu suchen.
Die Sprache des Zeitalters der
Digitalisierung zeigt sich darin, dass die Namen der Figuren an anonymisierte Nutzernamen im Internet erinnern: und zwar
nennt man den Hauptcharakter aus der Gegenwart Daniel1 und die Nachkommen von
ihm Daniel24, Daniel25 und so weiter. Die Nachkommen benutzen eine lyrische
Sprache um zu kommunizieren und verwenden viele Fachbegriffe aus der digitalen
Welt.
Jeen und Mohamad über Der Würfel (Moini)
Der Roman "Der Würfel"
wurde von dem Autor Bijan Moini verfasst und wurde am 28. Februar 2019 von dem Schweizer
Verlag ATRIUM veröffentlicht. In der Dystopie "Der Würfel" geht es um
eine von Menschen entwickelte, künstliche Intelligenz plus perfekter
Algorithmus, der in der nahen Zukunft Deutschland regiert, beobachtet und
kontrolliert. Dank dem Würfel leben die Menschen in einer Welt, in der alles
bestimmt und vorhergesehen wird. So ermöglicht der Würfel, den Menschen ein
sorgenfreies Leben. Dies funktioniert durch sogenannte SmEars(Ohrenstöpsel) und
SmEyes(Kontaktlinsen). Beide Gadgets sind mit dem Internet und mit dem Würfel
verknüpft. Der Würfel kann den Menschen nur helfen, wenn er von ihnen Daten bekommt. Daten sind
zum Beispiel private Informationen, die der Würfel durch ihre SmEyes sieht und
desto mehr Daten er von den Menschen bekommt, desto mehr Punkte bekommen die
Menschen. Durch diese Punkte erhalten die Menschen ihr Grundeinkommen und
Anerkennung: Wer sich also am meisten „überwachen“ lässt, hat die Chancen auf den
höchsten gesellschaftlich-sozialen Status. Doch der 28-jährige Taso rebelliert…….
Lisa über Ein wirklich
erstaunliches Ding (Hank Green)
Der Roman "Ein wirklich
erstaunliches Ding" wurde verfasst von Hank Green. Das Buch wurde 2018 vom
Verlag Bolt veröffentlicht. 2019 wurde das Buch dann ins Deutsche übersetzt.
In dem Buch geht es um April May,
die über Nacht, durch ein Youtube-Video, berühmt wird. Sie dreht mit ihrem
besten Freund Andy ein Youtube-Video über eine Statue, welche sich im Verlaufe der
Geschichte als außerirdisch herausstellt. Dazu tauchen auf der ganzen Welt noch 63 weitere Statuen auf. Das Video wird über Nacht
millionenfach geklickt und geteilt. Sie verdient zehntausende von Dollar und
ist auf einmal auf der ganzen Welt bekannt. Schnell merkt sie aber, dass dieses
Leben nicht nur Gutes mit sich bringt. Ihre Sucht nach ständiger Aufmerksamkeit
steigt, aber auch ihre
"Hater" werden immer mehr. Sie muss mehrere Anschläge aushalten und
gleichzeitig muss sie die Rätsel der unbekannten Wesen lösen. Ihre Bekanntheit
wird zum Verhängnis und sie lernt die negativen Seiten kennen. Sie wird beleidigt, verurteilt
und bedroht.
Die Geschichte wird getragen von auch
schon heute sichtbaren Phänomenen der Digitalisierung. Es werden in dem Buch
Twittereinträge hinzugefügt und es werden viele Abkürzungen genutzt. Viele
Jungendliche können sich mit der zeitgemäßen Sprache, den Abkürzungen und den
Twittereinträgen identifizieren. Zudem werden neue Kommunikationskanäle eingebracht,
wie zum Beispiel ein Livestream über Facebook. Die Außerirdischen nutzen zum Kommunizieren
Buchstabenkombinationen, wie I.A.M.U oder Zahlenkombinationen, die
sie als Rätsel an die Menschen weiterleiten.
Jolina und Laura über Drohnenland (Hillenbrand)
Der Roman "Drohnenland"
wurde 2014 von Tom Hillenbrand im KiWi-Verlag veröffentlicht. Es ist ein
Kriminalroman, der ca. im Jahr 2050 spielt. Man erlebt die Handlung aus der
Sicht des Europol-Kommissars Arthur van der Westerhuizen, welcher zusammen mit
seiner Analystin Ava Bittman im Europa der Zukunft Fälle löst. Das Klima ist
komplett gekippt, die EU mit ihren 38 Mitgliedstaaten wird durchgehend von
Drohnen usw. überwacht und Ermittler können mithilfe des Fahndungscomputers
TEREISIAS und durch Spiegelungen in Form von nachgestellten Szenarien Verbrechen aufklären. Kurz
vor den Abstimmungen zur neuen EU-Verfassung, wird der Parlamentarier Vittorio
Pazzi ermordet. Bei den Ermittlungen stoßen Aart und Ava auf unerwartete
Komplikationen und finden Zusammenhänge zu anderen Fällen. Durch weitere
Ermittlungen entdecken sie Verbindungen zu großen Unternehmen und der Regierung,
wodurch sie selber in die Schusslinie geraten. Der Roman spielt also in der
Zukunft, in der die Digitalisierung weit vorangeschritten ist. Europa ist zwar der
Handlungsmittelpunkt, teilweise aber schon nicht mehr in der Form vorzufinden, wie
es heute vorzufinden ist, denn der Klimawandel hat zum Untergang von nördlichen
Teilen Hollands und Deutschlands geführt.
Ein spannender Krimi in einer Zukunft, die durchaus
realistisch erscheint…
Ayman über Ready Player One (Cline)
Der Fantasy-Science
Fiction-Roman "Ready Player One" von Ernest Cline, veröffentlicht
2010, erzählt die Geschichte des 18-Jährigen Wade Watts. Dieser lebt in einer dystopischen
Welt im Jahre 2045. Die Nutzung fossiler Brennstoffe hat das Klima zerstört,
die daraus resultierende Energie- und Wirtschaftskrise sorgt dafür, dass die
meisten Menschen sich der Realität entziehen. Sie flüchten in das virtuelle
Utopia, die OASIS, in der sie die Möglichkeit auf Arbeit, Bildung und
Beschäftigung haben. Als der Erfinder der OASIS, der in die Popkultur der 80er-Jahre
verliebte Thomas Halliday, stirbt, hinterlässt dieser ein
"Easteregg", ein Rätsel, dessen Löser*in sein gesamtes Vermögen von
mehreren Milliarden Dollar, sowie den Besitz der OASIS erbt. Dem in prekären
Verhältnissen, in einem Slum am Rande New Yorks lebenden Wade gelingt es als
erstes einen Teil dieses Rätsels zu lösen, was für ihn gefährliche Auswirkungen
in der realen Welt hat. Durch die Hilfe seiner Freunde und sein großes
Nerdwissen über die 80er-Jahre gelingt es ihm trotz aller Widrigkeiten das
Rätsel als erstes zu lösen. Nun ist er dran, mit seiner neu erworbenden Macht
über das virtuelle Utopia, sowie seinem Reichtum in der realen Welt, diese
wieder in ihre Bahnen zu lenken. Zwei weitere Teile des Buches wurden bereits
angekündigt, es handelt sich bei der SciFi-Fantasy Reihe also um eine Trilogie.
In Bezug auf die Digitalisierung
der Sprache sind primär die Nutzung von Lehnwörtern aus anderen Kulturkreisen,
bzw. Sprachen zu erwähnen. Scherzhaft verwendete Spitznamen, wie Amigo oder
Compadre, nützliche Abkürzungen für Örtlichkeiten, Objekte oder Tätigkeiten,
wie zum Beispiel Basement oder Oasis oder Höflichkeitsformen aus dem japanischen
Kulturkreis, wie zum Beispiel die Namensendung -san, der Roman weist bezüglich
der Nutzung von Lehnwörtern aus anderen
Sprachen mehr Facetten als nur die der Anglizismen auf.
Justin über Super, und dir? (Weßling)
Der Roman "Super, und
dir?" von Kathrin Weßling erschien erstmals 2018 im Ullsteinverlag.
Kathrin Weßling thematisiert und problematisiert darin den zeitgenössischen Leistungsdruck
in der Gesellschaft auf eine sehr schonungslos offene Art und Weise. Thematisch
konkreter handelt das Buch von einer im Social-Media-Bereich tätigen jungen
Frau, die genau diesem Leistungsdruck auf Dauer nicht standhalten kann und deshalb im Laufe der Handlung daran zu Grunde
geht. Sowohl sprachlich als auch inhaltlich orientiert sich das Buch sehr an Phänomenen des Zeitalters der
Digitalisierung. Soziale Netzwerke und computervermittelte
Kommunikationen sind zentrale
Schwerpunkte innerhalb der Sprache des Romans. Deutlich wird
das zum Beispiel am konkreten Sprachgebrauch der Protagonistin und an der
sichtbare werdenden Tendenz der Erhöhung der kommunikativen Verfügbarkeit
generell. Der ständige Druck, die medienvermittelte allgegenwärtige
Verfügbarkeit, die darunter leidende Freizeit und Privatsphäre und die
Konsequenzen für die seelische Gesundheit des Einzelnen sind die zentralen Themen dieses
Romans.
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