Sprache - Denken - Wirklichkeit: Grammatisches Geschlecht (Genus)


(Hannah und Laura, LK Wengler)


Schon seit dem 18. Jahrhundert wird kontrovers diskutiert, inwiefern Sprache und Denken zusammenhängen. Die beiden größten Parteien der Diskussion sind die Universalisten und die Relativisten. Der Universalismus besagt, dass wir nicht in unserer eigentlichen Sprache denken, sondern in einer angeborenen Meta-Sprache. Somit beeinflussen unsere Gedanken (bzw. unsere Meta-Sprache) unser Sprachvermögen. Bis heute hat sich jedoch eher der Relativismus durchgesetzt, der besagt, dass die Sprache unser Denken beeinflusst. Sehr interessante Beispiele für den Relativismus liefern Untersuchungen zum grammatischen Geschlecht (Genus).
Hast du dich schon einmal gefragt, was du für Eigenschaften mit bestimmten Objekten assoziierst, die zwar sächlich sind, aber grammatisch einen femininen oder maskulinen Artikel haben? Denkst du bei dem Baum an seinen dicken, stabilen  Stamm? Oder an seine kleinen, zerbrechlichen Äste? Und hängen diese Gedanken vielleicht mit den Artikeln zusammen, die unseren Objekten zumindest ein grammatisches Geschlecht geben?

Einige Forscher aus der Denkrichtung der Relativisten sind der Meinung, dass unser Genus auf jeden Fall in Verbindung mit unseren Gedanken über bestimmte Gegenstände steht. Ein großer Verfechter dieser Hypothese ist Guy Deutscher. Seiner Meinung nach ist es nicht so, dass wir wirklich denken, die Geige sei eine Frau, jedoch ist er davon überzeugt, dass der Genus unsere Gefühlsebene beeinflusst. 1915 wurde das erste Experiment vom Psychologischen Institut in Moskau zu diesem Thema durchgeführt. In diesem Experiment bezeichneten alle 50 Teilnehmer die Wochentage Montag, Dienstag und Donnerstag als männlich und die restlichen als weiblich, was hier in Verbindungen mit den jeweiligen russischen Bezeichungen gebracht wurde. Die einen seien maskulin, die anderen feminin. Dem Psychologen Toshi Konishi war diese Aussage zu wenig, deshalb kam ihm 1990 die Idee, das Phänomen sprachvergleichend anhand der deutschen und der spanischen Sprache zu untersuchen. Diese Untersuchung ergab, dass Deutsche zum Beispiel „die Brücke“ mit eher femininen Eigenschaften und Spanier ihre „el puente“ mit eher maskulinen Eigenschaften beschrieben. Das letzte und eindeutigste Ergebnis erzielten jedoch Lera Boroditsky und Lauren Schmidt. Sie befragten Deutsche und Spanier auf Englisch welche Assoziationen sie mit den bestimmten Gegenständen haben, da Englisch eine Sprache ohne Genussystem ist. Die Zuordnungen zu maskulin und feminin blieben selbst dort die gleichen. Diese drei Experimente stärken Guy Deutscher in seiner Meinung.

Dass man Sprachen nur schwer miteinander vergleichen kann, ist, so denken wir, klar. So kamen in der Forschungsgeschichte auch immer wieder interessante Hypothesen zustande. Wie zum Beispiel die von Benjamin L. Whorf, der meinte festgestellt zu haben, dass die Inuit sehr viel mehr Wörter für Schnee hätten, als es sie im Englischen gibt. Was für ihn zwangsläufig bedeutete, dass sie komplett anders über Schnee denken würden als Menschen die nur ein oder vielleicht zwei Worte für Schnee haben. Eine klare relativistische Aussage. Diese These ist mittlerweile widerlegt worden.

Trotzdem merkt man, dass die Versprachlichung eines femininen oder maskulinen Genus für Gegenstände bei der Betrachtung derselben eine Rolle spielt, oder eben auch nicht. Im Türkischen zum Beispiel gibt es überhaupt kein grammatikalisches Geschlecht, und auch, wenn die Sprache also nicht das Geschlecht fokussiert, ist es in der Gesellschaft noch relativ normal, dass Frauen und Männer unterschiedlich wahrgenommen und auch nicht gleich behandelt werden.

Eine weitere Erkenntnis von Boroditsky ist eventuell gut geeignet, um die Zusammenhänge des Genus mit unseren Gedanken ein bisschen besser zu verstehen. Amerikaner*innen kennen auch kein grammatikalisches Geschlecht, wenn sie dann aber eine Fremdsprache lernen, in der es verschiedene Genusarten gibt, fangen sie auch an, Gegenstände genau wie Muttersprachler*innen mit einer anderen mentalen Sichtweise aufzufassen.

Man kann dies beispielsweise auch in der Kunst betrachten. Deutsche Maler*innen stellen den Tod so gut wie immer als männlich dar und entsprechend dem grammatischen Geschlecht verfahren sie auch bei der Darstellung von Begriffen wie Sünde, Sieg oder Zeit. Im russisch geprägten Kunstraum jedoch wird der Tod fast immer als Frau dargestellt, was offenbar mit der russischen Sprache und dem Genus des Wortes zusammenhängt. Laut Boroditsky tragen 85% solcher künstlerisch dargestellten Personifikationen das Geschlecht, das die Begriffe auch in der Muttersprache der Künstler*innen haben.

Wir persönlich finden es sehr schwer uns in den wissenschaftlichen Richtungen der Linguistik auf eine klare Seite zu stellen. Auch wenn es weder für den Relativismus noch für den Universalismus eindeutige Beweise gibt, lenken uns unsere Intuitionen in die Richtung des Universalismus. Speziell auf das Genus bezogen können wir uns auch hier nicht wirklich mit der, eher dominanten, relativistischen Aussagekraft anfreunden. Wir denken, dass es normal ist, dass das grammatikalische Geschlecht in irgendeiner Art und Weise unsere Wahrnehmungen beeinflusst. Jedoch spüren wir das bei uns nicht in einem gewichtigen Ausmaß.

Nehmen wir die ewig anhaltende Diskussion über den Artikel von Nutella zum Beispiel. Für uns selber ist es ganz klar „das Nutella“, wir kennen aber auch eine ganze Reihe von Leuten, bei denen es „die Nutella“ heißt, als Begründung geben sie oft an, dass es ja „die Creme“ heißen würde. Aber ist für diejenigen, die einen feminine Artikel verwenden, Nutella auch weicher, zarter und geschmeidiger. Wenn dies so wäre, könnte Nutella aus der Verwendung des femininen Artikels eine Marketingstrategie machen! Tun sie aber nicht. Wir sind zu dem Schluss gekommen, dass jeder seine eigenen Wahrnehmung dazu hat und das ist auch gut so, wäre ja langweilig, wenn es nichts mehr zu diskutieren gäbe!

Also was denkt ihr: lasst ihr euch stark vom Genus beeinflussen? Die meisten tun es offenbar, ohne großartig darüber nachzudenken.

Kommentare

  1. Ich finde, dass euer Blogartikel euch gut gelungen ist. Es ist ein informierender Text, der die Spannung des Lesers besonders durch die gestellten Fragen in der Einleitung und der Fakten im Hauptteil hält.

    Das Beispiel, mit der/ die/ das Nutella, womit ihr den Text abgeschlossen habt, hat mich am meisten zum Nachdenken gebracht. Ebenfalls hat es eine Diskussion mit Freunden und auch bei mir Zuhause ausgelöst, da es doch einige Unterschiede gibt und das selbst, wenn man dieselbe Sprache spricht oder gemeinsam wohnt. Gut gefallen hat mir auch, dass ihr aus verschiedenen Bereichen (Kunst) Beispiele herangezogen habt.

    Außerdem habt ihr Wörter oder Zusammenhänge gut erklärt, sodass alles verständlich und plausibel war.

    Duygu

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  2. Man merkt wirklich, dass ihr euch gut auskennt mit eurem Thema. Am Anfang hatte ich fast Schwierigkeiten euch zu folgen ;-) Euer Text ist mit vielen guten Beispielen zu den einzelnen Argumenten versehen, was mir als Außenstehender erleichtert euch inhaltlich folgen zu können. Euer Artikel hat im späteren Verlauf auch immer mehr an Spannung gewonnen und mich als Leser neugierig auf euer Urteil gemacht. Die letzten zwei Sätze spielen meiner Meinung nach genial ineinander und regen den Leser zur eigenen Urteilsbildung an, was dafür sorgt, dass das eben Gelesene nicht ohne weiteres im "Raum" stehen bleibt.

    Gelungener Artikel, würde ich sagen.

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  3. Der Blogartikel ist euch sehr gut gelungen. Ich hatte manchmal bisschen Schwierigkeiten euch zu folgen, doch durch die Beispiele hab ich dann auch alles wieder verstanden. Am Besten fand ich trotz den sehr guten Beispielen im Hauptteil, den Schluss. Ihr habt super eure Unsicherheiten zu eurem Stand in der Linguistik ausgedrückt. Doch die gestellte Frage am Ende des Textes hat mir am meisten gefallen. Sie lässt den Leser selber nachdenken und sich eine eigene Meinung darüber bilden, auf welcher Position er ist.
    Im großen und ganzen ist der Blogartikel, wie ich oben schon erwähnt hab, sehr gut geworden.

    Roksana

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