Ist die Ausrichtung dieser Überschrift tatsächlich links oder doch dort, wo jeden Morgen die Sonne aufgeht?

(Carla und Duygu, LK Wengler)

Schon kleine Kinder wissen, dass sie die Sprache benutzen können, um zu sagen, wie sie sich fühlen, was sie haben möchten, oder was sie im Alltag erlebt haben. Die Sprache gibt uns die Macht auszusprechen, was wir denken. Inwiefern die Sprache und das Denken aber tatsächlich zusammenhängen, wird bereits seit Jahrhunderten von zwei linguistischen Positionen diskutiert. Wissenschaftler aus aller Welt diskutieren mit und positionieren sich somit entweder auf der Seite der Relativisten, oder der Universalisten. Die Sapir-Whorf-Hypothese der Relativisten sagt aus, dass die Sprache der Prägestempel des Denkens ist, das heißt, dass der Wortschatz und die Grammatik der Muttersprache unsere Denkweise beeinflusst. Die Hypothese der Universalisten sagt hingegen aus, dass das menschliche Denkvermögen, Sprachvermögen und die Universalgrammatik angeboren sind. Außerdem sind die Universalisten davon überzeugt, dass die Muttersprache nicht die erste Sprache ist, die wir erlernen, da wir davor schon in einer anderen Sprache denken, der „Mentalese“, wie sie etwa Steven Pinker nennt. Damit ist gemeint, dass die Muttersprache uns keine neue Denkstruktur liefert. Vor dem Hintergrund der neuen empirischen Sprachforschung stellt sich die Frage nach dem Zusammenhang von Sprache und Denken neu. Denken wir wirklich anders, wenn wir unterschiedliche Sprachen sprechen?

Vermutlich können Sie sich nicht vorstellen, dass Menschen aus anderen Ethnien vollkommen andere Raumbeschreibungen aufgrund verschiedener Muttersprachen, die erlernt wurden, haben. Der Artikel den Sie gerade lesen, befindet sich möglicherweise in der Beschreibung von Menschen, die einer anderen Ethnie zugehörig sind, nicht „vor“ Ihnen, sondern „östlich“, „südlich“, „westlich“ oder „nördlich“ von Ihnen. Schon der linguistische Relativist Benjamin Lee Whorf führte eigene ethnolinguistische Forschungen in Bezug auf verschiedene indigene Sprachen durch. In jüngerer Zeit untersuchten ethnolinguistische Forscher Sprachen, in denen es etwa gegenüber den westeuropäischen Sprachen deutliche Unterschiede im räumlichen Vokabular und damit offenbar auch in der Raumorientierung gibt. So kommt es vor, dass in einigen Sprachen vollkommen andere Raumbeschreibungen oder andere Standortbezeichnungen von Gegenständen verwendet werden. Wir benutzen gewöhnlicherweise zur Beschreibung des Ortes oder der Ausrichtung eines Objekts die Wörter „links“, „rechts“, „hinten“ oder auch „vorne“. Der Stamm der Aborigines „Guugu Yimithirr“ hingegen verwendet zum Beispiel die Himmelsrichtungen, um zu beschreiben, wo sich etwas befindet. Dann heißt es: „Der Stift befindet sich östlich der Federtasche“ und nicht „Der Stift liegt links neben der Federtasche“. Daraus ergibt sich, dass ihre gesamte Orientierung geographisch ist. Um sich über Räumliches zu verständigen, müssen sie also so eine Art eingebauten inneren Kompass besitzen, um die Himmelsrichtungen immer vor Augen zu haben. Diesen inneren Kompass besitzen meist schon kleine Kinder. So kommt es dazu, dass Ihnen eine Fünfjährige, die in diesem Stamm aufgewachsen ist, jederzeit problemlos sagen kann, wo welche Himmelsrichtung ist. Sie haben damit also einen sicheren Orientierungssinn, egal wo sie sich befinden (sogar in geschlossenen Räumen), und verfügen so über ein gutes Gespür für die Himmelsrichtungen.
Der Stamm der Aborigines beweist somit die These der Relativisten, die aussagt, dass die zuerst erlernte Sprache/ Muttersprache unsere Denkweise beeinflusst. Denn man muss einen innerlichen Kompass besitzen, um zu wissen, wo sich die verschiedenen Himmelsrichtungen befinden. Die Sprache hat somit das Denken der Aborigines in einer Weise geprägt, die mit unserer Prägung nicht vergleichbar ist, und ein instinktives Wissen geschaffen, über den Sie als Leser dieses Textes nicht verfügen. Demzufolge zeigt die Hypothese, die von dem Universalisten Noam Chomsky aufgestellt wurde, angesichts dieser Erkenntnisse Schwachstelle. Denn wenn alle Menschen schon von Geburt an dasselbe Denkmedium, dasselbe Denkvermögen, dasselbe Sprachvermögen und dieselbe Universalgrammatik biologisch in den Genen veranlagt hätten, dann wären auch wir jederzeit dazu in der Lage zu wissen, wo welche Himmelsrichtung ist.
Lena Boroditsky teilte folgende aufsehenerregende Geschichte in ihrem Artikel „Wie die Sprache das Denken formt“: In einem Hörsaal der Stanford University in den USA  bittet sie die Gelehrten darum, mit geschlossenen Augen nach Norden zu zeigen. Die Anwesenden im Hörsaal zeigten dann in alle möglichen Richtungen und einige weigerten sich sogar diese Aufgabe zu erfüllen, da sie nicht vertraut waren mit der Lehre der Himmelsrichtungen. Genauso ist es jedoch auch anders herum. Die Aborigines sind nicht vertraut mit den Wörtern links, rechts, vorne und hinten. Das liegt daran, dass ihre Sprache sich eben in der Struktur fundamental unterscheidet von der englischen, chinesischen und auch von der deutschen Sprache. Die Sprache bestimmt demnach unser Ausdrucksvermögen aber eben auch unsere Denkstruktur.

Unserer Meinung nach hat sich die Sapir-Whorf-Hypothese allein an dem Beispiel des Stammes der Aborigines „Guugu Yimithirr“ bewahrheitet. Außerdem konnte die Hypothese der Universalisten ebenfalls anhand dieses Beispiels widerlegt werden. Wir sind fester Überzeugung, dass jeder Mensch die Himmelsrichtungen gleich gut zeigen können müsste, wenn wir alle, wie von den Universalisten behauptet, dasselbe, durch die Muttersprache nicht gravierend beeinflusste Denkmedium hätten. Jedoch ist unsere Denkweise, unser räumliches Vokabular und unser instinktives Wissen in der Raumorientierung offenbar wie man feststellen kann, ziemlich verschieden aufgrund unserer zuerst erlernten Sprache / Muttersprache. Festzuhalten ist, dass unser Denken im Zusammenhang mit der Sprache steht und unsere Sprache nicht nur unser konkretes Sprechen, sondern auch unsere Gedanken selbst beeinflusst.



Kommentare

  1. walllah wallah fand icke jut ihr habt linguistisches Blut. mega mega schreibrythmus da krieg ich auf lesen lust

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  2. Es ist äußerst interessant, dass der Guugu Yimithirr Stamm die Himmelsrichtungen benutzt, um zu beschreiben, wo sich etwas befindet. Ich kann mir das selber gar nicht so richtig vorstellen, da wir Orte wo sich etwas befindet ja ganz anders beschreiben. Zum Beispiel wenn etwas in der nahen Umgebung gibt, dann verwenden wir vorne, da hinten, links oder rechts. Wenn etwas aber in entfernender Umgebung ist dann benutzten wir konkrete Namen wie zum Beispiel das Kino ist Richtung Rudow in der Gropius Stadt. Am Ende jedoch fühle ich mich den Universalisten mehr hingezogen, da ich ihre sicht mehr nachvollzuiehen kann. Gruß Jeen

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  3. Ich fand diesen Artikel Sprachlich gut und konnte dem Inhaltlichen auch sehr gut folgen. Ich finde es sehr interessant, dass der Guugu Yimithirr Stamm einen eigenen "inneren Kompass" benutzt, um sich, in sogar geschlossenen Räumen, orientieren zu können. Je mehr ich mich mit diesem Thema befasse, desto mehr werde ich zum Relativisten. Dass es für die Aboriginies möglich ist, sich so zu orientieren, ist für uns kaum Vorstellbar. Doch das zeigt, dass die Sprache, das Denken, sehr beeinflusst.
    LG Mohamed

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  4. Ich fand diesen Blogartikel ganz gut. Alles war sehr leicht und gut formuliert, sodass man nicht lange für das verstehen eines Satzes gebraucht hat. Man merkt, dass ihr euch mit dem Thema auskennt und wisst was ihr geschrieben habt. Außerdem war das Beispiel über den Stamm der Aborigines sehr interessant und hat das Thema noch verständlicher gemacht. Allerdings lässt mir der Schluss eine Frage offen. Habt ihr also nur an einem Beispiel (der Sprache der „Guugu Yimithirr“, die nur noch paar hunderte Menschen sprechen) eure Meinung gebildet?

    Roksana

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