Beeinflusst die Zeitwahrnehmung unsere Sprache oder das Sprechen über Zeit unsere Wahrnehmung?

(von Roksana und Ahmed, LK Wengler)


„Die Grenzen meiner Sprache sind die Grenzen meiner Welt!“ Dieses berühmte Zitat von Wittgenstein beschreibt gut unsere eigene Sichtweise auf das, was Sprache mit uns macht. Kennt ihr das? Ihr lest einen schwierigen Text und schafft es kaum euch den Zusammenhang zu erschließen. Der Inhalt bleibt euch dann verborgen und eure Weltsicht erweitert sich nicht.
In der Linguistik spielt die Auseinandersetzung mit der Frage, wie die Sprache mit dem Denken und der Sicht auf die Welt zusammenhängt, seit jeher eine große Rolle. So haben sich zwei Denkrichtungen gebildet: die Relativisten und die Universalisten.
Die Relativisten sind der Meinung, dass die Sprache das Denken beeinflusst. Das heißt, dass wir eine Sprache beherrschen müssen um überhaupt Denken zu können.  Sie glauben an die Sapir-Whorf-Hypothese, die besagt, dass die Denkweise vom Wortschatz und der Grammatik der Muttersprache beeinflusst wird. Die Universalisten hingegen gehen davon aus, dass eine Sprachstruktur angeboren ist. Sie denken, dass Sprache unsere biologische Ausstattung ist, die man nicht so wie etwa das Lesen erlernen kann. So sind die Universalisten der Meinung, dass es eine mentale Sprache gibt, die die Sprache der Gedanken sein soll. Diese Positionen werden schon seit Jahrzehnten diskutiert, insbesondere heute stellt sich die Frage, ob der Relativismus angesichts der jüngeren empirischen Sprachforschung noch tragfähig ist.

      Fangen wir mit dem stärksten Gegenargument gegen den Relativismus an. Whorfs Hypothese, dass die Hopi mangels verschiedener Zeitformen auch ein anderes Zeitbewusstsein haben, stützte sich auf das Gespräch mit einem einzigen Hopi-Informanten, der in New York lebte, deshalb erscheint seine Hypothese heute weniger aussagekräftig. Im Deutschen merkt man, zwei Muttersprachler können sehr unterschiedlich reden. Eine Person, die zudem bereits westlich sozialisiert ist, ist aus wissenschaftlicher Sicht daher als Quelle zu wenig! Der Anspruch ethnolinguistischer Forscher ist es heute, wirklich innerhalb einer Sprachgemeinschaft und innerhalb deren Lebenswelt zu forschen. Die Sprache der Hopi ist langsam dabei „auszusterben“. Es gibt nur noch ca. 4000 Menschen, die ihre Sprache gut beherrschen. Wenn es keine Sprache mehr gibt in der die Menschen kein Tempussystem haben, kann man nicht mehr beweisen, dass die Menschen ohne Tempussystem ein ganz anderes Zeitkonzept haben. Man würde sich nur noch auf die Forschungen stützen, die vor Jahrzehnten gemacht wurden. Deshalb rennt den Ethnolinguisten in gewisser Weise die Zeit davon.
      Ein anderes Argument, bei dem man aber merkt, dass der Whorfsche Relativismus heute nicht mehr zu 100% tragfähig ist, ist die Entdeckung Whorfs über die Sprache der Inuit. Die Sprache hat mindestens drei Bezeichnungen für das Wort „Schnee“. So, sagte Whorf, haben sie auch eine andere Sicht auf Schnee. Dies wurde schnell widerlegt, da Sprachen ineinander übersetzbar sind, auch wenn eine Sprache komplexere Ausdrucksweisen und genauere Lexeme für den Begriff hat. So hat man im Englischen ebenfalls Schneearten, die man unterscheidet, diese haben nur keinen exakten Namen. Nehmen wir aber noch ein karikierendes Beispiel, das schon allein innerhalb unserer Sprachgemeinschaft etwas verdeutlicht: Bänker haben hunderte von Bezeichnungen für „sichere Geldanlagen“, doch kann man sagen, dass sie eine grundsätzlich andere Sicht auf sichere Geldanlagen haben, als wir? Wahrscheinlich ist, dass sie diese einfach nur besser verstehen auf Grund ihres Expertenwissens.

Es gibt aber auch noch aus heutiger Sicht viele Argumente, die dafür sprechen, dass der Relativismus noch tragfähig ist.
      Jemand, der Deutsch oder Englisch spricht, ordnet zeitliche Abläufe so, dass die Vergangenheit hinten, die Gegenwart in der Mitte und die Zukunft vorne ist. Doch jemand, der Hebräisch oder Arabisch spricht, neigt eher dazu, die Zeit andersrum zu ordnen. Das heißt, dass die Schreibrichtung die Zeitorganisation beeinflusst. Auch die Kultur beeinflusst die Zeit. In unserer Sprache betrachten wir Vergangenheit als „hinten“ und Zukunft als „vorne“, das zeigt sich auch in sprichwörtlichen Redeweisen und in der Körpersprache. Doch Aymara, eine indigene Sprache aus den Anden, sehen Zeit ganz anders: für sie liegt die Zukunft hinten und die Vergangenheit vorn – und wieder zeigt sich das in ihrer Körpersprache. So kann man sagen, dass der Relativismus noch heute gelten kann.
      Ein weiteres Argument für die Gültigkeit des Relativismus ist, dass die Sprache der Hopi, wie oben schon erwähnt, kein Tempussytem hat, deshalb auch ein ganz anderes Zeitkonzept hat, als wir. Wegen dem Futur, das uns Hoffnung macht, leben wir nicht nur im Hier und Jetzt, während es bei den Hopi genau darum geht. Für uns ist Zeit eine Bewegung, für die Hopi nur ein „Späterwerden“ von allem, was je getan wurde. Die Hopi-Sprache zeigt nur die Art der Gültigkeit eines Geschehens. Es unterscheidet keine Zeitformen. Zum Beispiel „Er rennt“ bedeutet „Wari“, aber „Er rannte“ bedeutet auch „Wari“ oder „Era Wari“, womit angezeigt wird, dass es eine Aussage aus dem Gedächtnis ist. Es ist schon passiert und ein Hopi Sprechender möchte betonen, dass er sich nur erinnert. Hier merkt man, dass sie auch eine ganz andere Ideologie der Physik hätten. Sie hätten kein „t“ und sie hätten dafür vielleicht  einen neuen Terminus „i“ für Intensität, anstatt die Geschwindigkeit „v“ da sie auch keine Wörter für schnell etc. haben. Sie benutzen nur intensiv oder sehr. Da Physik in unserem Dasein sehr wichtig ist, wird hier sichtbar, wie sehr die Sprache die Weltsicht beeinflusst.

Wir sind zu dem Entschluss gekommen, dass der Relativismus heute noch tragfähig ist. Die Denkrichtung hat natürlich auch Schwachstellen, die man in einer Verbindung mit den Gedanken des Universalismus vielleicht ausgleichen könnte. Eine Synthese aus beiden Denkrichtungen könnte eine Lösung sein, obwohl der Relativismus unserer Meinung nach noch immer die bessere Beschreibung des Verhältnisses von Sprache und Denken bietet.

Kommentare

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  2. Euer Blogartikel ist sehr gut geschrieben, dass habt ihr sehr gut gemacht. Wie ihr die Argumente aufgelistet habt, ist euch auch sehr gelungen. Ich stimme euch bei eurem Entschluss zu das der Relativismus heute noch tragfähig ist, auch wenn er hier und da seine Schwachstellen hat.
    Im großen und ganzen ein super Artikel,
    Elias.


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  3. Der Text wurde gut und informativ reich geschrieben
    Die Argumente wurden sorgfältig gewählt

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  4. Guten Tag.
    Nun da ich den Blogartikel erneut gelesen habe möchte ich meine Meinung zu diesem teilen und teils auch Kritik äußern. Der Blogartikel hat die Thematik des Zusammenhanges von Zeitwahrnehmung und Sprache miener Ansicht nach sehr verständlich offengelegt und dem Leser verständlich übermittelt. Auch wenn ein derartig langer Titel möglicherweise nicht optimal gewählt ist, versteckt sich hinter diesem ein Blogartikel mit äußerst kreativen Wegen der Bearbeitung, die meiner Ansicht nach Erwähnung finden sollten. Besonders sticht dort natürlich die Art in der die Argumente eingebracht wurden heraus. Diese werden durch Stichpunkte gegliedert, was mir als Leser zum einen den Vorteil der klaren Strukturierung und damit verbunden auch des besseren Verständnisses gibt, zum anderen jedoch auch den Nachteil, dass ich jedes Argument als einzelnes betrachte und gewichte und somit nicht das Produkt aller auf einer Seite stehenden Argumente bewerte sondern welches Argument für sich alleinstehend das beste und logischste ist. Auch das bereits in der Einleitung sehr klar eure Meinung, in Form eines Zitates präsentiert wird senkt bei mir, als Leser das Interesse den Artikel zu Lesen, denn ich meine das Ergebnis bereits zu kennen. Trotzdessen ist zu erwähnen, dass der Blogartikel sehr angenehm geschrieben ist und den Leser ohne jedwede Verständnisprobleme in dieses Fachgebiet eintauchen lässt. Dies liegt zu nicht geringen Teilen auch an der guten Herausarbeitung des Artikels bzw. der guten Verarbeitung der genutzten Quellen. Ich bin mir sicher, dass wenn die kleinen Unebenheiten welche ich bereits aufgezählt habe ausgebessert werden, dieser Artikel noch besser werden kann als er es ohnehin schon ist.

    Mit freundlichen Grüßen Ayman

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